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26. Juni 2018

Zwölf Könige aus Kamerun zu Besuch bei der HSZG

Eine Foto- und Textreportage von Johannes Eichenthal erzählt hiervon und vom Kunstfest der Studenten in Görlitz.

Zum Besuch der zwölf Könige aus Kamerun an der Hochschule Zittau/Görlitz und dem Kunstfest der Studenten »Kultur und Management Görlitz« und »Kindheitspädagogik« erschien in der Litterata vom 18. Juni 2018 die folgende Foto- und Textreportage Johannes Eichenthal.

In der Umgebung von Görlitz, zwischen bewaldeten Hügeln und reifenden Kornfeldern, liegt Klingewalde. Dort, wo eine Allee im rechten Winkel auf die Dorfstraße stößt, da befindet sich seit vielen hundert Jahren ein Schlösschen. Erhaben, in stiller Größe steht das Bauwerk wie verlassen vor uns. Wir genießen die Einsamkeit, das Rauschen der uralten Bäume …

… doch da hören wir Motorengeräusche, ein Reisebus hält, Stimmengewirr erklingt. Plötzlich ist der alte Schlosshof voller Menschen aus Europa und aus Afrika. Die Afrikaner sind gemäß der Tradition ihres Landes gekleidet. Die interessanten Muster des Stoffes verweisen auf die Herkunft und Zugehörigkeit des Trägers. Und auf einmal ist er da, der »Markt der Könige«, eine Präsentation von Vereinen, die sich der Zusammenarbeit zwischen Kamerun und Deutschland widmen. Gastgeber Matthias Theodor Vogt, Professor für Kulturpolitik an der Hochschule Zittau/Görlitz und Direktor des Institutes für kulturelle Infrastruktur Sachsen, begrüßt mit großer Freude zwölf Könige sowie eine große Reihe von Prinzessinnen und Prinzen aus der Republik Kamerun.

Am Tag zuvor war die Delegation an fünf Dresdner Schulen und an der TU Dresden mit außerordentlichem Interesse empfangen worden, gefolgt von Gesprächen in der Sächsischen Staatskanzlei und in den Staatlichen Kunstsammlungen.

Heute und morgen sind sie zu Gast in der Europastadt Görlitz-Zgorzelec. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat die Idee, wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen eine Partnerschaft mit einem der afrikanischen Länder zu schließen. Dabei geht es nicht länger um eine einseitige Entwicklungshilfe. Vielmehr geht es um eine gemeinsame Meisterung ähnlicher Probleme auf staatlicher, kommunaler und zivilgesellschaftlicher Ebene im Interesse beider Seiten. Und im Interesse der Einen Welt. Prof. Friedrich Albrecht, der Rektor der Hochschule Zittau/Görlitz war beim Gespräch der Könige in der Sächssichen Staatskanzlei dabei; der Hochschule soll eine wichtige Rolle bei der künftigen Landespartnerschaft zufallen.

Prof. Vogt lädt die Könige ins Foyer ein. Gäste und Gastgeber stellen sich im Foyer des Schlosses, hinter einem beeindruckend großen Tisch von acht Metern Länge, auf. Renate Schwarz als Vertreterin des Görlitzer Stadtrates hält eine kurze Ansprache. Ihr schließt sich Radosław Baranowski, Bürgermeister, des polnischen Teiles der Europastadt Görlitz-Zgorzelec, mit der Bitte um einen Eintrag in die Goldenen Bücher beider Städte an.

Die Gäste folgen dem Wunsch und tragen sich in einer würdevollen Zeremonie in beide Ehrenbücher ein. 

Darüber hinaus hatte Gastgeber Prof. Vogt um das Signieren einiger Plakate für die Schirmherren Andreas Lämmel MdB und Frank Heinrich MdB sowie für die Sächsische Kulturstiftung und ihren Präsidenten, Ulf Großmann, gebeten. Damit erhielt der offizielle Akt den poetischen Charakter einer Kunstaktion.

Im »Blauen Salon« referierte Gastgeber Prof. Vogt vor den Gästen über das ferne Land Kamerun. Der Landesname stammt von portugiesischen Seefahrern, die 1472 einen großen Fluss nach den hier zahlreich beheimateten »Blaukrabben« (portug.: camarão) benannten. Von diesem Küstenflussnamen leiteten die Europäer absurderweise den Namen für ein ganzes Land von der Größe Schwedens ab. Das Land Kamerun sei heute der Inbegriff von Vielfalt. Das betreffe einerseits die Landschaft, vom tropischen Urwald mit seinen Goriallas und Schimpansen über Savannen bis zum Hochgebirge über 4.000 m. Andererseits unterscheide man etwa 240 Ethnien und Sprachen.

Die Kolonialstaaten legten auf der Berliner Konferenz von 1884/85 Grenzen und Einflussgebiete in Afrika fest. Das Deutsche Reich versuchte ein »Schutzgebiet« für deutsche Händler in Kamerun zu errichten. Die Anzahl Deutscher, die in Kamerun lebten, war jedoch maximal 1.000. Im Verlauf des Ersten Weltkrieges wurde der überwiegende Teil Kameruns dann von französischen Truppen besetzt und wurde frankophon, ein kleiner Teil ging an England und wurde anglophon. Im Jahre 1960, dem »Schlüsseljahr« der nationalen Befreiungsbewegung, schloß sich der nördliche Teil der anglophonen Gebiete an Nigeria an. Die beiden südlichen anglophonen Regionen erhielten das nie eingelöste Versprechen einer Föderation unter Gleichen mit den acht frankophonen Regionen Kameruns.

Die deutsche Kolonisierung des Landes ist in Kamerun noch in relativ guter Erinnerung, sehr viele Schüler lernen Deutsch. Das Goethe-Institut in der Landeshauptstadt Yaounde steht weltweit auf Platz 4 bei den erfolgreichen Deutsch-Abschlüssen. Die große kamerunische Diaspora in Deutschland ist bemerkenswert gut integriert.

Der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, habe gemeinsam mit Professor Vogt und weiteren Spezialisten im Februar 2018 eine Delegationsreise unternommen. Der Bericht der Delegation habe große Aufmerksamkeit erregt, weil er auf entscheidende Defizite der bisherigen Entwicklungspolitik hinwies (vgl. hier). Es gelte heute nach kulturellen und religiösen Elementen der Nachhaltigkeit in der Menschheitsentwicklung zu suchen, um das kulturelle Wesen von Afrika zu stärken und die massiven Abwanderung der jungen Begabten zu stoppen. 

Die derzeitige Lage im Subsahara-Afrika sei, dass die Dorfgemeinschaften Geld sammeln, um die besonders starken jungen Männer nach Europa zu schicken. Diese Methode sei aber eine Geldanlage. Die Gemeinschaft fordere die Rücküberweisung eines großen Teils des Einkommens der Auswanderer. Die Summe der Rücküberweisungen nach Afrika sei höher als die Entwicklungshilfe der EU. Realistisch betrachtet, sei eine Unterbindung der Migration also keineswegs im Interesse der oft autoritären Machthaber. Man müsse tiefer ansetzen und die Entwicklung in den Dörfern selbst fördern.

Die bisherige Praxis führte nicht zur Schaffung von kommunalem Eigentum, dem gravierendsten Defizit der Kameruner Infrastruktur. Deshalb gelte es gemeinsame Projekte zu entwickeln, um Infrastruktur zu schaffen, dass die Menschen in Kamerun eine menschliche Existenz haben können und nicht die jetzige Praxis fortsetzen. Das sei aber nur möglich, wenn man die derzeit vorherrschende Polarität von Tradition und Moderne überwinde. Sachsen und der Erzgebirgsraum hätten Erfahrung mit der Problematik, weil auch hier die jungen Begabten in die Metropolen oder gleich ins Ausland abwanderten. Warum nicht voneinander lernen?

Die junge Diplom-Ingenieurin Nadele Akamba aus Kamerun, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt, referierte im Anschluss über »Die Weisheit der Könige«. Die überlieferten »Weisheiten der Könige« seien zugleich Philosophie und Religion, wie in Persien, Indien und China. In Europa trenne man dagegen eher Vernunft und Glauben. Sie begann mit einem Kameruner Sprichwort »Wer auf seinem Weg zweimal an der selben Stelle vorbeikommt, der hat sich verlaufen.« In ihrer Interpretation will uns das Sprichwort sagen, dass wir unsere Fehler nicht wiederholen sollten. Sie formulierte die Frage: »Wie können wir dafür sorgen, dass sich das, was in der Geschichte zwischen Europa und Afrika schief gelaufen ist, nicht wiederholt?« Ein zweites Sprichwort lautete: »Wir stehen nur hier, weil wir auf den Schultern unserer Vorfahren stehen.« Das treffe auf die ganze Menschheit und deren kulturelles Erbe zu. In Europa erlebe sie mitunter die Meinung, man habe die ganze Welt erfunden. Aber das Erbe der Menschheit sei ein gemeinsames. Auch Afrika habe viel dazu beigetragen. Abschließend zitierte sie das Sprichwort »Das Kind, um das sich die Gemeinschaft nicht kümmert, wird auf der Suche nach ein bisschen Wärme irgendwann das ganze Dorf anzünden.« Frau Akamba resümierte, dass sich die afrikanische Gemeinschaft kümmern müsse, dass keine größeren Probleme entstünden. Wir sollten uns aber auch in Europa kümmern. Man könne im 21. Jahrhundert nur Lösungen für die Probleme der Menschheit finden, wenn man Afrika einschlösse. Ohne Afrika werde es keine Lösungen geben. In der Diskussion betonte Frau Akamba, dass das französisch dominierte Bildungssystem nicht geeignet sei die kulturelle Bildung des Volkes nachhaltig zu befördern. Es bedürfe eigenständiger Strukturen, um die kulturelle Tradition bewahren und ein Selbstbewusstsein herausbilden zu können.

Auf dem Markt der Könige fand in dieser Zeit ein Rundgang statt. Fred-Eric Essam von IBM Deutschland und Vorsitzender des Vereins ident.africa e.V. (re.), dessen Ziel die Beförderung von Selbständigkeit ist, stellt die einzelnen Vereine vor. Hier ist es Dr. Peter Schnupp von der Firma AIQ – go (li.). Er befasst sich mit Suchmethoden im Internet. Auf unsere Frage nach dem Charakteristikum seiner Arbeit antwortet er: »wir recherchieren, wo Google allein nichts findet«.

Wir wollen eigentlich zum nächsten Stand, doch da lädt der Gastgeber Prof. Vogt bereits zu einer Theateraufführung in den Schlosspark ein.

Die Zuschauer fanden sich auf dem Rasen hinter dem Schloss, vor der Kulisse uralter Bäume, ein.Die Königlichen Hoheiten genossen in diesem Freilufttheater das Privileg auf Stühlen sitzen zu können, um der Handlung des Studenten-Ensembles folgen zu können. In einer wunderbar leichten Sommerkomödie griffen diese den in Berlin entstandenen Streit um ein Gedicht von Eugen Gomringer auf: „Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer“. Studenten einer Berliner Hochschule, die von Kunst offensichtlich eher wenig verstehen, hatten auf Sexismus reklamiert; das Gedicht mußte von der Fassade der Hochschule getilgt werden. In Görlitz nun hatten die hiesigen Studenten unter Leitung von Moritz Manuel Michel mit ein bißchen Rotstift eine alternative Fassung danebengestellt: „Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Männer / Alleen / Alleen und Männer / Alleen und Blumen und Männer und / eine Bewunderin“ und stellten Alltagssituationen dar: Frauen-zu-Frauen und Frauen-zu-Männern und Männer-zu-Frauen und Männer-zu-Männern. Vom Dozenten Frank Stein bewundert.

Im präkolonialen Afrika nahmen Frauen stets eine Schlüsselrolle ein. So gibt es die sogenannte Reine-Mère (Königsmutter), die aber weder die Mutter noch die Gattin des Königs ist, sondern seine Stellvertreterin und diejenige, die den nächsten König bestimmt. Im kolonialen Afrika jedoch kommunizierten die Kolonial-‚Herren‘ stets mit den Männern. Dadurch geriet das Geschlechterverhältnis in jene Schieflage, die unter anderem die heute endemische Korruption begünstigte. Nur Ruanda ist aktuell zum „Frauenwunderland“ (Barbara Achermann, Reclam 2018) geworden. Mit den Mitteln einer leichten Sommerkomödie führten die Görlitzer Studentinnen und Studenten den Königlichen Hoheiten die europäische Haltung zur Geschlechterbalance vor, die eben durchaus auch eine altafrikanische ist.

Am Ende dankte das Publikum den jungen Schauspielern, die sich in der Abendsonne vor der Parkseite des Schlosses verbeugen, mit begeistertem Applaus. So klang der Markt der Könige dem Anschein nach mit einer Kunstaktion aus.

Doch die afrikanischen Gäste setzten den eigentlichen Schlusspunkt. Voller Lebensfreude ließen sie uns an einer theatralische Zeremonie teilhaben, in der man einen Würdenträger erschafft: Günter Nooke, der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, wurde zum »Großwesir« der zwölf Könige ernannt, Prof. Matthias Theodor Vogt und Fred-Eric Essam zu seinen Begleitern und Notabeln der zwölf Königreiche. So ging der Markt der Könige mit einer bunten, temperamentvollen Aktion zu Ende.

Kommentar

Wir erlebten in Klingewalde eine Veranstaltung mit großer Informationsdichte. Es war dem einzelnen Besucher kaum möglich alles aufzunehmen. Dennoch blieb ein informativer Eindruck, weil Theater und Kunst wichtige Vermittlungen übernahmen. Die gestellte Aufgabe, Abwanderung aus Afrika durch verbesserte Zusammenarbeit stoppen zu helfen, ist dem Anschein nach so einleuchtend wie schwer zu realisieren. Was heißt es, die Polarität von Tradition und Moderne zu überwinden? Gleichberechtigte Zusammenarbeit kann nur auf gemeinsamer Grundlage stattfinden. Das bedeutet für die Europäer, sich von einigen Dogmen der Vergangenheit zu verabschieden. Die menschliche Gesellschaft der Zukunft wird nicht so aussehen, wie der Westen heute. Die Besonderheiten der Kulturen und Religionen werden bleiben. Es geht nicht um die Nivellierung der Unterschiede von Kulturen und Religionen, sondern um den Wettbwerb, wer am meisten zur Zukunft der Menschheit beizutragen hat. Die Religionen, im Sinne von Spiritualität, konstituieren in ihrer Sprache das kulturelle Selbstbewusstsein. Ein Friede im Glauben kann hergestellt werden, wenn wir auf dem Zusammenhang der religiösen Erzählung der Menschheit, auf dem Weitererzählen der Schöpfungsgeschichte und anderer Fabeln durch die verschiedenen Völker aufbauen. Umgekehrt muss es möglich sein, über die Religiösität gemeinsames humanes und humanitäres Handeln der Kulturen zu ermöglichen. Auch in Sachen Eigentumsformen sollten die Europäer von ihrer Hypertrophierung von Größe abgehen. Spätestens seit Fernand Braudels »Civilisation matérielle« müsste klar sein, dass Familienbetriebe ein grundlegendes Element im »Ozean der Geschichte« sind, aus dem große Unternehmen wie Inseln emporsteigen und nach Ablauf ihrer Zeit wieder eingehen. In der Vielfalt der Eigentumsformen gilt es Stabilität zu gewinnen, nicht in äußerlicher Größe. Wenn Europa begreift, dass Spiritualität, Dezentralisierung, Selbstverwaltung und Selbständigkeit auch die eigenen Aufgaben der Zukunft sind, dann kann eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Ländern wie Kamerun gelingen, und dann können die Europäer auch aus Kultur und Religion Afrikas lernen. Den Organisatoren und Aktiven des Marktes der Könige ist zu danken. Es war ohne Zweifel ein Ereignis.

Eine Reportage von Johannes Eichenthal, die Sie auch hier finden.

 

Die Verantwortlichen danken dem Mironde-Verlag für die freundliche Genehmigung zum Wiederabdruck!

Foto: Prof. Dr. phil. Dr. habil. Matthias Theodor Vogt
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Matthias Theodor Vogt
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